Interview "Junge Welt"

Investitionslücke schließen, nicht die Betriebe

06.11.2017 | Siemens-Beschäftigte in Erfurt wehren sich gegen die Kürzungspläne des Konzerns. Gespräch mit Bernd Spitzbarth.

Am Mittwoch begann mit einer Protestkundgebung am Standort Erfurt der Arbeitskampf bei Siemens. Laut Medienberichten könnte auch dieser Standort von den Kürzungsplänen des Konzerns betroffen sein. Was wissen Sie darüber?

 Das Fatale ist, dass wir davon bislang nur aus den Medien erfahren, wie dem Börsen-Journal und dem Manager-Magazin. Leider bekommen wir von Siemens keine Bestätigung dessen oder Details zu den Plänen. Auch bei einer außerordentlichen Sitzung des Wirtschaftsausschusses am Donnerstag gab es keine Auskünfte des Konzerns. Das grenzt an Rechtsverstöße, weil der Wirtschaftsausschuss und der Betriebsrat informiert werden müssen. Das Management verhält sich inakzeptabel gegenüber den Beschäftigten und den Gewerkschaften.

 Ursprünglich hatte Siemens angekündigt, die Belegschaften am 9. November zu informieren. Bislang wirkt diese Ankündigung aber auf mich wie ein Spiel auf Zeit. Für uns sind Verkäufe oder Schließungen von Werken die rote Linie. Es scheint derzeit, dass die Konzernleitung nicht mehr weit davon entfernt ist, diese rote Linie zu überschreiten. Dieser Protest hat nicht nur etwas mit dem Standort Erfurt zu tun. Alle Siemens-Standorte stehen hier zusammen und stellen klar, dass Verkäufe und Schließungen für uns nicht hinnehmbar sind.

Wie weit werden Sie im Arbeitskampf notfalls gehen?

Wir werden in Kooperation mit den anderen Standorten den Protest fortführen. Der Protest darf nicht am Werkstor haltmachen, er muss in die Städte getragen werden. Nach unserer Kundgebung am Mittwoch werden wir den Kampf um die Standorte und Arbeitsplätze in die Stadt Erfurt tragen, so wie es unsere Kolleginnen und Kollegen in den anderen Städten in die Öffentlichkeit tragen. In Leipzig, Erfurt, Offenbach, Erlangen, Berlin – überall dort, wo es bröckelt, werden die Kollegen gegen den Abbau von Arbeitsplätzen kämpfen. Es gilt unser Grundsatz: Kein Standort darf aus der Siemens AG herausgebrochen werden.

Die Chefetage der Siemens AG argumentiert dagegen, dass die Einsparungen finanziell nötig seien.

Es geht bei derartigen Plänen des Managements nicht ums Geld, nicht bei einem Konzern wie Siemens oder Bosch. Nehmen Sie das Beispiel VW: Der Autobauer zahlt wegen des Dieselskandals Milliarden Euro an Strafen, während der Konzern nicht mal zuckt, geschweige denn wankt. Es liegt nicht am Geld. Wir erwarten deshalb von Siemens, dass Geld in die Hand genommen und in die Zukunftstechnologien investiert wird. So könnten die Standorte wieder flottgemacht werden. Siemens hat Innovationen verschlafen. Es gilt jetzt, diese Innovationslücke zu schließen, nicht aber die Betriebe.

Wie stand es bislang um das Verhältnis von Geschäftsführung und Betriebsräten?

Siemens hatte in der Vergangenheit immer eine gewisse Familienkultur. Man ging offen miteinander um, hat die Dinge auf den Tisch gelegt. Offenbar hat es da einen Paradigmenwechsel gegeben. Das beunruhigt uns. Wenn beispielsweise jetzt aus der Konzernleitung gemeldet wird, dass man nicht zu einer reinen Finanzholding werden wolle. Dann klingt das für uns, als hätte man das eigentlich vor – und wolle es bloß noch nicht sagen. Dann wird es problematisch. Zur Zeit müssen wir konstatieren, dass es einen Bruch in der Zusammenarbeit zwischen Management und Arbeitervertretung gibt. Deshalb wird die IG Metall mit den Betriebsräten an den einzelnen Standorten noch enger kooperieren und die Reihen noch fester schließen.

Dabei besteht eigentlich eine Betriebsvereinbarung bei Siemens, die betriebsbedingte Kündigungen ausschließt.

Momentan gibt Siemens in der Öffentlichkeit auch an, man wolle auf betriebsbedingte Kündigungen verzichten. Aber ein Verkauf ist ein Verkauf. Wenige Jahre später wären die Betriebe dann von einer Schließung bedroht, das kennen wir aus anderen Wirtschaftszweigen. Auch wenn Siemens die Standorte langsam ausbluten lässt und »auf Raten« schließt, den Beschäftigten Aufhebungsverträge anbietet und Abgänge nicht mehr ersetzt, wäre das ein Abweichen von der bisherigen Philosophie. Anderthalb Jahre nach der Betriebsvereinbarung scheint diese nichts mehr wert zu sein. Das wird mit uns nicht zu machen sein!

Von: jz

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